Lebensmitteltechnik, 3: 47-49 (1999)

"halal" oder "haram"?

Muslime leben nach strengen Speisegesetzen

Die Herstellung von Nahrungsmitteln für Muslime, von denen allein in Deutschland über zwei Millionen leben, unterliegt besonderen Voraussetzungen und Anforderungen.

 
Der Islam ist eine monotheistische Religion, die sich als die allen Menschen angeborene ,,Religion der Schöpfung" versteht. Die zu ihrer Gründung führenden göttlichen Offenbarungen wurden zwischen 610 und 632 n.Chr. durch den Propheten Muhammad empfangen und sind im Heiligen Buch des Islams, dem Koran, überliefert. Neben dem Koran ist Sunna von Bedeutung, welche das Gewohnheitsrecht beinhaltet, das dem Gläubigen religiöse Sicherheit im Alltag verleiht. Seit der Zeit Muhammads hat sich der Islam weltweit zur zweitgrößten, in naher Zukunft wohl größten Religionsgemeinschaft entwickelt, zu der sich rund 1,8 Milliarden Menschen bekennen. In Europa hat er eine wechselvolle Geschichte.

Heute müssen wir feststellen, daß die Zahl der Muslime in praktisch allen westeuropäischen Ländern zunimmt, wofür es verschiedene, hier nicht zu diskutierende Gründe gibt. Derzeit leben in der Bundesrepublik Deutschland über 2 Millionen und in Österreich und der Schweiz jeweils etwa 150.000 Muslime. Angesichts dieser Zahlen kann keine Rede mehr von Minderheiten sein und es stellt sich somit auch für die Wirtschaft die Aufgabe, sich dieser Tatsache zu stellen und soweit erforderlich Produkte anzubieten, die den religiösen Vorschriften des Islam gerecht werden.

 
Speisegesetze

 
Die Muslime glauben, daß Gott alleine der Schöpfer der Welt und der Menschen ist. ER alleine hat alle Dinge erschaffen, IHM alleine gehört alles und zu IHM alleine wird alles zurückkehren. Diese wunderbare Schöpfung wurde dem Menschen zur Nutznießung überlassen; als Stellvertreter Gottes soll er sie sinnvoll bewahren. In diesem Sinne zeigt der Koran auf, daß es dem Menschen aus islamischer Sicht grundsätzlich erlaubt ist, sowohl Pflanzen als auch Tiere als Nahrung zu verwenden. Grundvoraussetzung ist allerdings, daß sie für den Menschen verträglich und gesund sind.

Für das, was erlaubt, rein oder zugelassen ist, wird im Koran der Begriff ,,halal" verwendet. Bezogen auf die Nahrungsmittel entspricht er weitgehend dem Begriff ,,koscher" in den jüdischen Speisegesetzen. Angesichts der zunehmenden Globalisierung des Welthandels sind Bestrebungen der islamischen Welt festzustellen, den Begriff ,,halal" über den Codex Alimentarius weltweit lebensmittelrechtlich zu verankern. Im Gegensatz zu halal (erlaubt) steht das Wort ,,haram", was verboten bedeutet. Ausgesprochen haram sind nur wenige eßbare Dinge, nämlich verschiedene Formen Fleisch, insbesondere Schweinefleisch und jegliches Blut sowie Alkohol. Außerhalb des Islams wird immer wieder gefragt, ob die auf Nahrungsmittel bezogenen Verbote in ihrem ursprünglichen Gehalt überhaupt religiöser Natur sind. Sowohl aus medizinischer als auch aus lebensmittelhygienischer Sicht könnten sie nämlich durchaus auch als Hygienemaßnahmen verstanden werden, die insbesondere auf den Erfahrungen und Erfordernissen der Verhältnisse in warmen Ländern basieren [Lück, 1996; Saleh, 1972]. Es besteht heute Einigkeit darüber, daß faktisch davon ausgegangen werden muß, daß die Regelungen allesamt einen rein religiösen Hintergrund haben.

 
Pflanzliche Nahrung

 
Es wurde bereits festgestellt, daß pflanzliche Nahrungsmittel grundsätzlich halal sind, Es sei denn, daß sie für den Menschen allgemein unverträglich sind oder aber toxische Inhaltsstoffe besitzen. Der Verzehr von Pflanzen, die Rauschzustände hervorrufen können, ist grundsätzlich verboten. Nicht betroffen sind verschiedene Gewürze, wie beispielsweise Kardamom, da sie praktisch auch nicht in solchen Mengen verzehrt werden können, daß dadurch Rauschzustände auftreten können.

Die Konservierung von Obst und Gemüse in Essig ist grundsätzlich gestattet, obwohl Essig aus Alkohol hergestellt wird; auch Fermentationen wie die Milchsäuregärung können angewendet werden. Angesichts des heutigen Wissens um die Zusammensetzung von pflanzlichen Rohstoffen muß der Hinweis auf die Abwesenheit toxischer Stoffe sowie solcher, welche die Verträglichkeit beeinflussen, kritisch gesehen werden, wenn man beispielsweise an Cyanglucoside in Cassava, Solanin in grünen Kartoffeln, das mögliche Vorkommen von Mykotoxinen in Rohstoffen, die angeschimmelt sind oder waren sowie an das allergene Potential verschiedener pflanzlicher Rohwaren denkt. Hierbei ist einerseits zu bedenken, daß ein Lebensmittel nicht dadurch seinen ,,halal"-Charakter verliert, daß es einige Menschen gibt, die unter Unverträglichkeitsreaktionen leiden, und daß es durchaus auch technologische Möglichkeiten gibt, toxische Stoffe abzubauen oder zu eliminieren. In diesen Fällen ist der ,,halal"-Charakter nicht gefährdet. Anders liegt die Situation bei Mykotoxinen, durch die das Lebensmittel verdorben ist, da es damit den Tatbestand der gesundheitlichen Unbedenklichkeit einbüßt. Die Forderungen des Korans sind hier durchaus mit denen der Lebensmittelhygiene deckungsgleich.

 
Alkohol

 
Der Genuß von Alkohol ist den Muslimen grundsätzlich verboten und doch gibt gerade dieses Thema immer wieder Anlaß zu Diskussionen, die hier allerdings nicht im einzelnen nachgezeichnet werden können. Angesprochen werden sollen nur Fragen, die sich aus dem heutigen Wissen über die Herstellung und Zusammensetzung von Lebensmitteln ergeben. So ist bekannt, daß Fruchtsäfte, die

keiner alkoholischen Gärung unterlagen, geringe Mengen von Alkohol enthalten oder daß bei fermentierten Lebensmitteln immer auch geringe Mengen Alkohol entstehen können. Diese Tatsachen können auch vom streng gläubigen Moslem akzeptiert werden, da der in diesen Produkten enthaltene Alkohol natürlicherweise vorhanden ist und da die Prozesse, die zu seiner Bildung geführt haben, nicht mit dem Ziel durchgeführt wurden, diesen Alkohol zu bilden. Obwohl Lebensmittelfermentationen nicht mit dem Ziel der Herstellung von Alkohol durchgeführt werden dürfen, gibt es eine Ausnahme, die nur deshalb problemlos ist, weil als Endziel des Prozesses nicht Alkohol sondern Essig steht. Bekanntlich muß der kohlenhydrathaltige Rohstoff, z.B. Zuckerrohrmelasse, hierbei zuerst zu Alkohol fermentiert werden, der dann durch Essigsäurebakterien zu Essigsäure umgesetzt wird. Hierbei ist ein gewisser Restgehalt an Alkohol nicht zu verhindern und so lange er sich in der üblichen Konzentrationsbreite von bis zu etwa 0,5 % bewegt, wird er auch toleriert.

Die Fortschritte in der Lebensmitteltechnologie führen aber auch in diesem Zusammenhang zu Fragen, die noch nicht allgemeingültig beantwortet werden können. Durch die modernen Verfahren zur Entalkoholisierung von Flüssigkeiten können z.B. entalkoholisierte Biere oder auch alkoholfreie Aromen aus alkoholisch fermentierten Getränken, wie beispielsweise Wein, gewonnen werden. Durch dieses Verfahren hatten die resultierenden Produkte ihre berauschende Wirkung verloren, wodurch der Grund für ihr Verbot entfallen würde. Diese Sichtweise wäre in Übereinstimmung mit dem Gutachten über die Verwendung von Gelatine und zeigt auch Parallelen zum Essig auf, bei dem der zunächst gebildete Alkohol in Essigsäure umgesetzt wird. Die Geschmackscharakteristik des Essigs kommt im wesentlichen aus der alkoholischen Fermentation. Trotzdem muß die hier vorgestellte Sichtweise noch durch theologische Autoritäten überprüft und gegebenenfalls genehmigt werden.

Für die praktische Lebensmittelherstellung bedeuten diese Ausführungen, daß bei der Herstellung von Lebensmitteln für Muslime Alkohol als Rezepturbestandteil in jeglicher Form verboten ist.

 
Tierische Nahrung
 

Daß es Muslimen generell erlaubt ist, das Fleisch von Tieren zu essen, wurde bereits ausgeführt, doch sind diesbezüglich weitere Informationen notwendig. Marine Tiere sind grundsätzlich halal, und sie unterliegen auch keinen rituellen Tötungsvorschriften. Dies gilt nicht nur für Fische, sondern auch für Muscheln, Krebse und andere marine Weichtiere sowie für Meeressäugetiere. Letztlich besteht auch kein Zweifel daran, daß neben Salzwasserfischen auch Süßwasserfische halal sind. Im Zusammenhang mit den Landtieren werden im Koran die einzigen eßbaren Dinge genannt, die eindeutig haram sind. ,,Es ist euch verboten zu essen: von selbst Gestorbenes (Verendetes), Blut und Schweinefleisch und das, bei dessen Schlachtung eines anderen als ALLAHs Name angerufen worden war, und Ersticktes und Erschlagenes oder durch Fall zu Tode gestürztes oder das durch die Hörner eines anderen Tieres Getötete (und Angefressene) und das von wilden Tieren Zerrissene, außer ihr selbst habt es völlig getötet, und das, was Götzen zu Ehren geschlachtet wird." Bis heute nicht endgültig geklärt ist die Frage, ob Pferde, Maultiere und Esel zur Fleischgewinnung herangezogen werden dürfen. Das eindeutige Verbot von Schweinefleisch hat zur Folge, daß auch alle Bei- und Nebenprodukte, die vom Schwein stammen, haram, d.h. verboten sind, hierzu zählen insbesondere Speck und Schweineschmalz. Das gleiche gilt für das Blut jeglicher Tierart sowie der daraus hergestellten Produkte, wie beispielsweise Trockenblut, Blutplasma oder Serumproteine. Einen Sonderfall stellt die Gelatine aus Schweinerohstoffen dar, die bis vor kurzer Zeit ebenfalls noch als eindeutig haram eingestuft wurde. Seit Anfang 1998 liegt eine Neubewertung dieses Themas durch die Al Azhar Universität in Cairo vor. Diesem Gutachten zufolge ist Gelatine als ein durch die Hydrolyse so stark verändertes Food Ingredient anzusehen, daß kein Zusammenhang mehr mit der ursprünglichen Herkunft, dem Schwein, zu erkennen ist. Diese neue Sichtweise ist offiziell verabschiedet, doch muß klar gesagt werden, daß sie derzeit bei weitem noch nicht von allen Muslimen akzeptiert wird, weshalb bei der Vermarktung von Produkten, die unter Verwendung von Schweinegelatine hergestellt wurden, eine entsprechende Vorsicht geboten ist. Zum Verständnis dieser Situation sollte erklärt werden, daß die islamische Welt über kein organisatorisches und theologisches Oberhaupt verfügt. Es gibt aber Instanzen, die mehr oder weniger allgemein akzeptiert werden. So wird beispielsweise der Mufti der Al Azhar Universität in Cairo von den sunnitischen Muslimen als wesentliche theologische Instanz anerkannt. Aufgrund der fehlenden Struktur sowie infolge begrifflicher Ungenauigkeiten, die sich bei der Übersetzung des Korans in andere Sprachen ergeben haben, ist es zu erklären, daß im Koran angesprochene Themen in verschiedenen Ländern teilweise unterschiedlich ausgelegt und interpretiert werden.

 
Rituelles Schlachten

 
Nicht durch den Koran vorgeschrieben, aber aus dem Verbot der Verwendung von Aas, Blut und nicht rituell geschlachteten Tieren abgeleitet, müssen alle Landtiere, die dem Muslimen zur Nahrung dienen, entsprechend einem in Sunna niedergelegten islamischen Ritual, dem Schächten, geschlachtet werden. Einzig ausgenommen davon sind Tiere, die auf der Jagd geschossen oder durch ein Jagdtier gefangen wurden. Die rituelle Schlachtung sieht vor, daß man den Tieren unter Anrufung des Namens ALLAHs mit einem scharfen Messer mit einem einzigen Schnitt Speiseröhre, Luftröhre und Halsschlagader durchtrennt. Wesentlich dabei ist, daß die Tiere zum Zeitpunkt des Schlachtens noch leben, damit es zu einem schnellen und möglichst weitgehenden Ausbluten kommt, da ja auch der Verzehr von Blut verboten ist. In größeren Betrieben wird das auslaufende Blut direkt zu Blutmehl verarbeitet, das zur Tierfütterung verwendet wird. Verschiedentlich wird das Blut auch zusammen mit den Magen und Darminhalten getrocknet und dann als Dünger in der Landwirtschaft verwendet [Buckenhüskes et al., 1996].

Für Muslime in nicht islamischen Ländern ist die Frage des Schlachtens oft von zentraler Bedeutung, da in vielen Ländern, so auch in der Bundesrepublik Deutschland, vorgeschrieben ist, daß warmblütige Tiere vor Beginn der Blutentziehung betäubt werden müssen. Da dies im Falle des traditionellen Schächtens nicht erfolgt, wurde in Deutschland ein Antrag auf eine Ausnahmegenehmigung gestellt, um auch hier Fleisch gemäß den Vorschriften des Islam gewinnen zu können. Im Jahre 1995 fällte das Bundesverwaltungsgericht ein diesbezügliches Urteil, nach dem das Schächten durch Muslime in der Bundesrepublik Deutschland nicht mehr erlaubt ist. In der Urteilsbegründung bezieht man sich vor allem auf ein Gutachten, das seitens der Al Azhar Universität in Cairo erstellt wurde. Danach ist es nach islamischem Ritual zwingend notwendig, daß die Tiere zum Zeitpunkt des Schlachtens noch Zeichen von Leben zeigen. Diese Voraussetzung ist nach Ansicht der Gutachter bei Anwendung der heute möglichen Elektrobetäubung ohne Zweifel gegeben, wartet man nämlich eine kurze Zeit ab, so erheben sich die Tiere wieder und laufen herum, als wäre nichts geschehen. Obwohl das Urteil rechtsgültig ist, bleibt es in gewissen Kreisen umstritten, da die Klägerin darauf verweist, daß es nicht auf die Meinung einiger islamischer Rechtsgelehrter und Theologen ankomme, sondern auf die Meinung der mit dem erschlachteten Fleisch belieferten Muslime [BVerwG, Urt. vom 15.06.1995 - BVerwG 3 C 31.93].

 
AbschIußbemerkungen

 
Obwohl der Islam im Grunde eine traditionsbewußte und in vielen Fragen durch Koran und Sunna festgelegte Religion ist, unterliegt er doch auch Weiterentwicklungen, die sich nicht zuletzt auch aus dem Fortschritt der Wissenschaften ergehen. So wurde auch in diesem Beitrag verschiedlich auf die moderne Lebensmitteltechnologie sowie die daraus erwachsenden Möglichkeiten hingewiesen, welche, wie ebenfalls gezeigt wurde, Auswirkungen auf bestehende Vorschriften und Traditionen haben können. Eine der großen Fragen, die sich in diesem Zusammenhang derzeit ergibt, ist die, welche Stellung der Islam bezüglich der Anwendung der Gentechnik im Bereich der Lebensmitteltechnologie einnimmt. Hier steht zum einen die generelle Frage, ob der Mensch mit Hilfe der Gentechnik in die Schöpfung eingreifen darf, wobei festzustellen ist, daß die dazu notwendigen ,,Werkzeuge" ja ebenfalls von ALLAH zur Verfügung gestellt und durch die Natur selber seit der Entstehung des Lebens als eine der Triebfedern der Evolution benutzt wurden. Im speziellen stehen darüber hinaus aber auch solche Fragen an, ob beispielsweise in Pflanzen oder Tieren Gene zur Erbringung einer bestimmten Eigenschaft eingebracht werden dürfen, die dem Schwein oder einem der anderen, als unrein erachteten Tiere entnommen wurden. Und letztlich steht natürlich auch die Frage im Raume, wie sich die Menschen in den islamischen Ländern verhalten sollen, wenn anderenortes die modernen Techniken ohne Rücksicht auf die islamischen Vorstellungen und Forderungen eingesetzt werden.

 
Literatur

Buckenhüskes, H.J.; H. T Omran und H. Shehata (1996): Fleisch und Fleischprodukte in Ägypten, I. Frischfleisch. Fleischwirtschaft 76 (11).

Lück, F. (1996): Christliche und muslimische Speisegesetze. Ernahrungs-Umschau 43 (2).

Saleh, A. (1972): Der Einfluß religiöser Vorschriften auf die Warenpalette; unter besonderer Berücksichtigung des Islam sowie des Hinduismus und Buddhismus. Inaugural-Dissertation Universität Köln.



Autoren dieses Beitrages sind Prof. Dr. Helmy T. Omran, Suez Canal Universität, Ismailia (Ägypten), und Prof. Dr. Herbert J. Buckenhüskes, Gewürzmüller GmbH, Stuttgart

Danksagung: Die Autoren danken der Alexander von Humboldt Stiftung in Bonn dafür, daß sie den Aufenthalt von Herrn Prof. Dr. H.T. Omran in Deutschland ermöglicht hat.